Laschet trifft Bundestagspräsidentin a.D. Prof. Dr. Rita Süssmuth und Landrätin Anna Katharina Bölling

10.12.2020

Rita Süssmuth wurde am 17. Februar 1937 in Wuppertal geboren. Sie studierte Romanistik und Geschichte in Münster, Tübingen und Paris. Auf das erste Staatsexamen für Lehramt folgte 1964 die Promotion im Bereich Erziehungswissenschaft, Soziologie und Psychologie. 1971 wurde sie nach einigen Jahren als Dozentin an verschiedenen deutschen Hochschulen zur ordentlichen Professorin für Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Ruhr ernannt. Vor dem Wechsel in die Politik leitete sie das Institut „Frau und Gesellschaft“ in Hannover. 1981 trat sie in die CDU ein. 1983 wurde sie Vorsitzende des Bundesfachausschusses der CDU für Familienpolitik, 1986 Bundesvorsitzende der Frauen Union und Mitglied des CDU-Präsidiums. Von 1987 bis 2002 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Ab 1985 war sie drei Jahre Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, bevor sie 1988 zur Bundestagspräsidentin gewählt wurde. 2000 und danach war sie Vorsitzende des Nationalen Migrationsrates, ab 2004 Mitglied des Migrationsrates der UN. Ihr herausragendes Engagement in Stiftungen, Vereinen und Verbänden setzt sie auch nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik bis heute fort.

Anna Katharina Bölling wurde am 2. Juni 1980 in Bad Oeynhausen geboren. Nach dem Abitur in Minden studierte sie Politik und Geschichte an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität Bonn (Abschluss 2005). In der Folge arbeitete sie in verschiedenen Funktionen für die Konrad-Adenauer-Stiftung, unter anderem in den Auslandsbüros in Warschau und Zagreb. Von 2011 bis 2017 war sie Referentin für Gesundheit, Soziales, Frauen, Familie und Kinder, Integration und Europa bei der CDU-Bürgerschaftsfraktion Bremen. Anschließend wurde sie Sozialdezernentin beim Landkreis Uelzen in Niedersachsen. Bei der Stichwahl am 27. September erhielt sie 63,7 Prozent der Stimmen und ist nun die erste Landrätin in ihrem Heimatkreis Minden-Lübbecke – der zuletzt 13 Jahre von der SPD regiert worden war.


Armin Laschet: Liebe Rita Süssmuth, liebe Anna Bölling, vielen Dank, dass Ihr unser gemeinsames Gespräch möglich gemacht habt – Rita Süssmuth mit genügend Corona-Abstand hier im Büro und Anna Bölling per Video aus Minden-Lübbecke. Wir wollen heute über die Corona-Pandemie, aber auch andere wichtige Themen sprechen. Rita, Du warst von 1988 bis 1998 Bundestagspräsidentin und damit eine der wenigen Frauen in einem der höchsten Staatsämter unseres Landes. Wie hat sich unsere Gesellschaft beim Thema Gleichberechtigung seitdem weiterentwickelt?

Rita Süssmuth: Bis in die 1980er Jahre war die Beteiligung von Frauen beschämend gering. Beschämend, weil es natürlich auch vorher schon genügend fähige Frauen für wichtige Ämter gegeben hat. Der Wille war da, sich weiterzubilden und Verantwortung zu übernehmen. Es hat nur leider sehr lange gedauert, bis man das akzeptiert und gefördert hat. Nicht zu akzeptieren ist der Tatbestand, dass die Gleichberechtigung von Frauen in den letzten Jahren wieder ins Stocken geraten. Das kann nicht so bleiben, gerade weil Frauen wie Anna Bölling beweisen, wie viel Potenzial vorhanden ist.

Armin Laschet: Wir hatten in Nordrhein-Westfalen bis zur Kommunalwahl nur zwei Frauen in kommunalen Spitzenämtern – Henriette Reker als Oberbürgermeisterin von Köln und Eva Irrgang als Landrätin im Kreis Soest. Anna Bölling hat erfolgreich daran mitgearbeitet, diesen Missstand zu beheben. Anna, nervt es Dich schon, ständig auf dieses Thema angesprochen zu werden?

Anna Bölling: Mir geht es natürlich grundsätzlich um eine sachorientierte Politik und um die Durchsetzung meiner Ziele für den Kreis Minden-Lübbecke, also beispielsweise bei den Themen Gesundheitsstandort und Digitalisierung. Gleichwohl ist mir natürlich bewusst, dass es nun mal leider immer noch eine große Rolle spielt, dass ich als Landrätin eine Frau bin. Das nervt mich aber nicht. Im Gegenteil: Ich möchte gerne daran mitarbeiten, Frauen für mehr Engagement in der Politik zu motivieren und bin da auch gerne Vorbild. Wir sollten schon jetzt auf einen noch größeren Anteil und Erfolg von Frauen bei der Kommunalwahl 2025 hinarbeiten.

Armin Laschet: Ist es für jüngere Generationen wichtig, dass sie speziell Frauen in Vorbildfunktionen erleben?

Anna Bölling: Da bin ich mir ganz sicher. Sie, Frau Süssmuth, sind ja beispielsweise selber eine der Frauen, die sicher nicht nur für mich ein großes Vorbild gewesen sind. Ich finde es aber auch wichtig, dass es nicht nur ganz oben in Deutschland und Europa starke Frauen gibt, sondern eben auch in der Kommune oder im Kreis. Wenn eine junge Frau zum Kreisparteitag geht, ist es sicher einladender und überzeugender, wenn da auch mal eine Frau als Landrätin oder Kreisvorsitzende vorne dabei ist.

Armin Laschet: Die CDU hat 1985 ihre „Leitsätze für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau“ verabschiedet. Der Essener Parteitag stand unter dem Motto „Die neue Partnerschaft – Frauen in Beruf, Familie und Politik“, ein Projekt vor allem von Dir, liebe Rita Süssmuth, und Heiner Geissler. Was muss heute, 35 Jahre später, passieren, damit wir als CDU in Führungspositionen weiblicher werden?

Rita Süssmuth: Es liegt weniger an fehlenden Beschlüssen, als an der Umsetzung. Im Grundgesetz, Artikel 3 Absatz 2, heißt es, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Aber wer hat sich in der politischen Beteiligung in den ersten Jahrzehnten unserer Bundesrepublik tatsächlich an diesem Grundsatz orientiert? Frau Bölling hat richtigerweise gesagt, dass sie vor allem Sacharbeit leisten will. Genau das wollen die meisten Frauen, wie auch ein wachsender Anteil der Männer. Ich verstehe nicht, warum Männer damit ein Problem haben. Es ist eine Bereicherung, dass die Frauen daran mitarbeiten wollen, die Ungleichheit abzubauen und eine gleiche politische Beteiligung zu erreichen – gerade jetzt in einer Zeit, in der die Welt aus den Fugen gerät. Wenn man sieht, dass im Deutschen Bundestag seit 2017 sogar wieder deutlich weniger Frauen vertreten sind als vorher, ist klar: Das können wir ändern.

Armin Laschet: Mit Blick auf die Parlamente stehen wir als CDU vor dem Problem, dass wir immer weniger Plätze über die Liste besetzen können und fast nur noch Direktmandate ziehen. Die Liste legen wir als Landesverband fest und können so Frauen stärken. Die Direktbewerber werden aber in den jeweiligen Wahlkreisen aufgestellt. Wie schaffen wir es, den Einfluss von Frauen vor Ort zu steigern und überhaupt mehr Frauen als CDU-Mitglied zu gewinnen?

Anna Bölling: Ein Punkt sind wie gesagt sicher Frauen als Vorbilder, die man vor Ort persönlich erlebt und ansprechen kann. Es geht aber auch um strukturelle und organisatorische Fragen. Kommunalpolitische Sitzungen sollten so terminiert werden, dass jedem ermöglicht wird, daran teilzunehmen. Wenn um 19 Uhr getagt wird, können in der Regel schon einmal all diejenigen nicht, die gerade ihre Kinder ins Bett bringen – und das sind in den meisten Fällen immer noch Frauen. Das „hybride“ Gespräch, das wir drei gerade führen, zeigt, dass es andere Möglichkeiten gibt als noch vor ein paar Jahren, um in einer Gruppe diskutieren und entscheiden zu können. Das sollte man nutzen. Am wichtigsten ist aber sicherlich die persönliche Einstellung jedes Einzelnen. Da muss jeder, auch jeder Kreisvorsitzende, selber überlegen, was er zum Guten verändern kann.

Armin Laschet: Auch ich denke, dass es unsere Aufgabe ist, eine gute Beteiligung von Frauen in der Breite zu erreichen und nicht nur in Spitzenpositionen. Wir haben auf der einen Seite sowohl eine Frau als Bundeskanzlerin, als Parteivorsitzende und als EU-Kommissionspräsidentin. Auf der anderen Seite sieht man in unseren Parlamenten und in den Stadt-und Gemeinderäten vor allem Männer.

Rita Süssmuth: Wir müssen einsehen, dass eine größere Beteiligung von Frauen in solchen Positionen nicht von alleine kommt. Diesem Irrglauben ist man über Jahrzehnte gefolgt. Es bedarf struktureller Veränderungen. Hier sehe ich in der Digitalisierung große Potenziale. Wer von zuhause aus an einer wichtigen Konferenz teilnehmen kann, wird deutlich weniger Probleme damit haben, Beruf, Familie und Politik miteinander zu vereinbaren. So bekommen wir auch mehr Beteiligung in den CDU-Verbänden vor Ort und damit auch in der so wichtigen Kommunalpolitik hin. Eben weil die Direktbewerber für Landtag und Bundestag vor Ort gewählt werden, kann man so etwas von unten nach oben verändern. Starke Impulse gehen noch immer von den Landfrauen in ihrer heutigen breiten Zusammensetzung aus.

Anna Bölling: Bei einigen Verbänden, die ich besucht habe, war ich bei den Sitzungen die einzige Frau im Raum. Wenn sich jedes dieser Gremien einmal intensiv damit beschäftigt, wie es etwas an dieser Situation ändern kann, hätte man in der Breite sicher auch schon etwas erreicht.

Armin Laschet: Auf jeden Fall ist es gut, dass die Struktur- und Satzungskommission sich mit dem Thema beschäftigt und dem Bundesparteitag wichtige Maßnahmen vorgeschlagen hat. Aufgrund der Corona-Pandemie werden wir darüber allerdings erst im kommenden Jahr diskutieren können. Derzeit spüren wir die einschneidenden Maßnahmen zur Eindämmung des Virus überall. Ich kann mir vorstellen, dass es schönere Zeiten gibt, um in den neuen Job als Landrätin zu starten!

Anna Bölling: Es ist auf jeden Fall eine Zeit, in der man als Landrätin große Verantwortung übernehmen muss, beispielsweise als Leiterin des Krisenstabs. Unser Gesundheitsamt wird jetzt auch von der Bundeswehr unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin.

Armin Laschet: Was macht diese Krise aus Eurer Sicht so besonders?

Rita Süssmuth: Ein zentraler Bereich ist die Krise um Gesundheit und Arbeit – es sind alle Menschen in jeder Bevölkerungsgruppe gleichermaßen betroffen. Das macht Entscheidungen und Abwägungen auch so schwierig. Erstaunlich finde ich die Kreativität, mit der viele ihr begegnen, zum Beispiel bei der Nutzung digitaler Technik. Die hilft auch dabei, mit dem schwierigen Verzicht auf persönliche Kontakte umzugehen. Hier ist gerade die junge Generation vorangegangen. Das trägt dazu bei, dass wir als Gesellschaft stärker zusammenhalten. In Nordrhein-Westfalen wird uns diese Erneuerung gelingen.

Anna Bölling: Diesen Zusammenhalt sehe ich als entscheidenden Punkt an. Die Pandemie und das Abstandhalten beschleunigen Probleme, die man auch vor Corona wahrnehmen konnte. Dazu zählt mangelnder Respekt, zum Beispiel vor Rettungskräften oder Verwaltungsmitarbeitern, aber auch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Mitmenschen. Dem müssen wir entgegenarbeiten – jeder für sich mit der eigenen Einstellung, aber auch ganz grundsätzlich. Wir brauchen mit Blick auf Corona, aber auch den Klimawandel und andere internationale Herausforderungen mehr Miteinander, mehr europäische Lösungen und ein gemeinsames, entschlossenes Vorgehen.

Armin Laschet: Wir müssen in der Tat darauf achten, dass wir auch die vielen anderen Herausforderungen im Blick behalten, mit denen wir uns abseits von Corona beschäftigen müssen. Und dafür ist es hilfreich, sich mit anderen auszutauschen. Ich danke Euch beiden ganz herzlich für dieses spannende Gespräch.

Dieses Gespräch erschien zuerst in „Bei uns in NRW“ (Ausgabe 3/2020).