Dr. Peter Liese (53) und Dr. Markus Pieper (55) führen die Landesliste der CDU Nordrhein-Westfalen für die Europawahl 2019 an. Elke Tonscheidt hat mit den beiden im Doppel-Interview über Positionen und Persönliches gesprochen, aber auch die Fridays For Future-Demos sind Thema.
Was war für Sie der „Treiber“ nach Brüssel zu gehen?
Liese: Ich habe mich immer schon für Themen interessiert, die nicht rein rational gelöst werden können. Zum Beispiel Biotechnologie, ethische Grenzen in der Gentechnik oder die Frage Entwicklungshilfe. Mir war klar: Lösungen kann man da am besten in Europa erreichen. Übrigens, kleine Geschichte am Rande: Noch bevor es an meinem Horizont war, mal als Abgeordneter nach Brüssel zu gehen, war ich einer der wenigen Ärzte in Deutschland, die in ihrer Doktorarbeit das Europäische Parlament erwähnt haben...
Also ein Zeichen?!
Liese (lacht): Ja!
Pieper: Ich hatte in meiner Tätigkeit in der Industrie- und Handelskammer sehr viel mit internationalem Umweltrecht zu tun und mich diesbezüglich schon häufig über Europa aufgeregt. Über Karl-Josef Laumann habe ich dann den politischen Bezug zu Europa bekommen und wurde dann mehr zufällig für den Kreis Steinfurt ins Rennen geschickt.
Herr Pieper, war denn Ihr Job als IHK-Geschäftsführer reibungsloser?
Pieper: Das kann man so nicht sagen. Doch mein Einstieg in die Politik war schon etwas Besonderes. Denn ich habe deshalb angefangen Politik zu machen, weil im Kindergarten meiner ältesten Tochter kein christliches Weihnachten gefeiert wurde.
Und das hat den Münsterländer aufgebracht?
Pieper: Richtig. Ich habe eine Elterninitiative pro Weihnachten gegründet – der Einstieg in die Dorfpolitik in Lotte. Die Kindergartenleiterin war grüne Kreistagsabgeordnete, also macht man aus grünen Verboten schwarze Politiker...
Und Sie, Herr Liese, was ist anstrengender: Als Stationsarzt einer Kinderklinik zu arbeiten oder als Politiker im EP?
Liese: Das tut sich nicht viel. Damals, als ich als Stationsarzt tätig war, gab es noch nicht die Europäische Arbeitszeitrichtlinie, d.h. wir mussten nach Nachtdiensten und wenn viel los war, am nächsten Tag weiter arbeiten. Das war sehr anstrengend. Und solche Situationen gibt es in Brüssel auch: nachts durchverhandeln und am nächsten Tag weiter machen.
Welche Stadt ist Ihre Lieblingshauptstadt und warum?
Pieper: Prag. Weil in dieser Stadt die Aufwertung von Regionen, die EU-Osterweiterung so bildhaft schön gelungen ist.
Liese (lacht): Wenn das gilt, die Hauptstadt des Karnevals: Köln.
Wirklich?
Liese: Ja! Ich habe dort viele Freunde und mir gefällt einfach die Lebensart. Wenn ich nicht in Südwestfalen gut leben würde, dann würde ich gern in Köln leben.
Welcher Europäer hat Sie am nachhaltigsten beeindruckt?
Pieper (überlegt): Das sind jetzt aber Fragen… Vor dem Hintergrund, politische Strategie und Pragmatismus zusammenzubringen, hat mich Helmut Kohl am meisten beeindruckt. Weil er die Wiedervereinigung nie aus dem Blick verloren hat und dann mit Gorbatschow die Chance für Deutschland und Europa gesehen hat. Das war schon toll.
Liese (ohne Zögern): Schon Angela Merkel. Sie habe ich von den großen Figuren am nächsten erlebt. Helmut Kohl habe ich zwar auch noch erlebt, aber da war ich nicht so nah dran. Was sie geleistet hat, zum Beispiel in der Griechenland-Krise oder in der Klimapolitik, das hat mich schon sehr beeindruckt.
Und wer hat Sie am meisten positiv beeinflusst?
Liese: Friedrich Merz. Er war sozusagen mein Lehrer, bei ihm habe ich Europapolitik hautnah erlebt, weil er mein Vorgänger war, anschließend war er mein Bundestagsabgeordneter. Ich kann lange nicht so gut reden wie er, aber ein bisschen abgeguckt habe ich mir schon...
Pieper: Als Quereinsteiger habe ich mich sehr über Herbert Reul und seine strategischen Tipps und Ratschläge gefreut. Auch Manfred Weber, mit dem ich 2004 begonnen habe, war und ist klasse. Wie er so mit seiner Bodenständigkeit zu einer europäischen Größe geworden ist, das ist schon beeindruckend. Dass CSU und liberal zusammengeht, glaubt man ja auch kaum... Wie er jetzt Brücken zwischen Ost, West und Süd – und wir mit Frankreich in der Mitte – baut: Das ist wirklich große Politik.
Welches Thema ist für Sie DAS Thema, das Europa dringend lösen muss?
Liese: Für mich geht es entscheidend darum, die Populisten zurückzudrängen. Damit Europa insgesamt da handlungsfähig bleibt, wo es das schon ist – und wird, wo es das noch nicht ist.
Pieper: Ich sehe die Verteidigungsunion als wichtiges Politikfeld mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wo wir endlich zu Mehrheitsbeschlüssen kommen müssen. Im Bereich Migrationspolitik ist das politische Ziel, Asylvorentscheidungen an den Außengrenzen zu treffen. Aber genauso wichtig ist, dass wir uns in der Handelspolitik gemeinsam aufstellen, dass Europa da zusammen bleibt und gegenüber Trump und China die richtigen Antworten hat – und das geht nur zusammen! Denn die SPD-Politik zielt ja eigentlich auf eine Verzwergung ab; die wollen die Osteuropäer im Grunde doch gar nicht mehr. Wir sollten aber keinesfalls ausgrenzen, sondern immer den kleinsten gemeinsamen Nenner finden.
Sie haben beide Kinder – was würden Sie tun, würden diese als Schüler an den derzeitigen Freitags-Demos teilnehmen?
Liese: Ich würde ihnen sagen: Ihr engagiert Euch für ein extrem wichtiges Thema. Aber noch besser wäre es, Ihr macht das außerhalb der Unterrichtszeit. Und: 3x Schule schwänzen reicht nicht aus, um ein solches Thema voranzubringen. Ich treffe immer wieder Schülergruppen, zuhause in meinem Wahlkreis oder wenn sie mich in Brüssel besuchen kommen, da ist meine Botschaft stets: Ihr müsst Euch dauerhaft engagieren, in Parteien, in Verbänden – und das geht eben nur in der Freizeit.
Pieper: Genau, ich würde mich ebenfalls freuen, wenn sie samstags zu diesen Demos gingen. Also in ihrer Freizeit. Und vielleicht sollte sich das Team des schwedischen Mädchens auch mal Gedanken über ihre vielen Flugreisen und den eigenen Carbon Footprint machen. Da ist auch viel Show dahinter... Zumal die europäische CO₂-Bilanz nun wirklich einzigartig auf der Welt ist.
Liese: Ich finde es etwas schwierig zu sagen, wer fliegen darf und wer nicht. Ich frage mich das übrigens tatsächlich, wenn ich irgendwo hin muss: Brauche ich wirklich das Auto, kann ich den Zug nehmen und muss ich wirklich fliegen? Aber nutzt ja nix, manchmal muss man eben fliegen.
Glauben Sie, dass Ihre Kinder in einer sicheren Zukunft leben werden?
Pieper: Wir sind in der einmaligen Situation, unser Friedensversprechen auch an die nächste Generation weitergeben zu können. Vor diesem Hintergrund sind die kommenden europäischen Wahlen Schicksalswahlen. Es geht um den Bestand der Europäischen Union, so wie wir ihn jetzt in den Verträgen vereinbart haben. Da steht einiges auf dem Spiel!
Liese: Ich hoffe das, aber wir müssen dafür arbeiten. Ich sage Schülern immer: Ich bin sehr froh seit 1965 in Frieden zu leben. Aber ich habe auch erlebt, wie es z.B. in Jugoslawien, wo ich als Jugendlicher öfters war, auf einmal ganz schnell ganz anders war. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass dort auf einmal Krieg herrscht! Deshalb: Wenn die Nationalisten das Kommando übernehmen, dann werden wir keinen sicheren Frieden mehr haben.
Ich habe auf Facebook meine Follower gefragt, welche Fragen sie Ihnen stellen würden. Die erste: Warum lohnt es sich ganz persönlich, für Europa zu kämpfen?
Pieper: Damit wir alle gemeinsam aus dieser Selbstverständlichkeitsfalle raus kommen. Es wird von uns Politikern immer die große Vision von Europa erwartet. Aber wir wertschätzen viel zu wenig, dass wir längst in einer Vision leben: Wir haben mehr als 70 Jahre Frieden und Freiheit auf diesem Kontinent. Ein Beispiel: Haben Sie sich klar gemacht, als Sie heute mit dem Zug einfach von Köln nach Brüssel gefahren sind, dass Sie nur EINE Fahrkarte benötigen? Dahinter stehen jahrelange Verhandlungen mit den Verkehrsgesellschaften, mit den Nationalregierungen. Und die Briten merken jetzt, was alles auf der Kippe steht...
Herr Liese, warum wird Europa jenseits des unheilvollen Neo-Nationalismus von so vielen Menschen kritisch gesehen?
Liese: Mit Abstand der wichtigste Grund dafür ist, glaube ich, die Flüchtlingskrise. Im Frühsommer 2015 hatte die AfD drei Prozent. Danach ging es leider immer weiter nach oben. Motive wie Fremdenhass dürfen wir uns natürlich keinesfalls zu Eigen machen; aber dass die Flüchtlingsfrage nicht optimal gemanagt wurde und die Sorgen vieler Kommunalpolitiker nicht früh genug im Kanzleramt angekommen sind, das ist ein Fehler, den wir uns als CDU hinter die Ohren schreiben müssen. Und ja auch tun.
Warum schafft es Europa nicht, für die Geflüchteten, die auf den griechischen Inseln festsitzen, menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen?
Liese: Das liegt zum Teil an den griechischen Behörden, die immer noch sehr schwach strukturiert sind. Aber eben auch daran, dass viele Staaten in Europa lange geglaubt haben, man könne das den Mitgliedstaaten alleine überlassen. In Deutschland war ja auch bis 2015 die Ansage, es ist ein nationales Thema. Und deswegen ist es jetzt sehr mühsam, europäische Strukturen aufzubauen, wenn ein Mitgliedstaat überfordert ist. Das ist aber nun erklärtes Ziel und gerade unser Spitzenkandidat Manfred Weber steht nicht erst seit 2015 dafür, dass wir dieses Problem GEMEINSAM lösen.
Herr Pieper, wie kann es sein, dass bei uns ausgemusterte Dieselfahrzeuge weiterverkauft werden dürfen und dann in Osteuropa weitergefahren werden?
Pieper: Wenn das so ist, dann muss sich Deutschland an die eigene Nase fassen, warum es Fahrverbote für höherwertige Diesel in den Innenstädten gibt. Deshalb haben die in Osteuropa ihren Markt – das ist Marktwirtschaft.
„Wir lernen von den Besten und handeln!“ – diesen Grundsatz sehe ich beim Thema Bildung nicht. Immer noch gibt es Insellösungen, Schwerfälligkeit in der Neuausrichtung. Ist das nicht absurd und gefährdet Zukunft, Herr Liese?
Liese: Wir müssen in Europa das Subsidiaritätsprinzip berücksichtigen. Ich bin persönlich der Meinung, wir könnten in Deutschland besser agieren, wenn die Länder besser zusammen arbeiten würden. Aber Europa kann das nicht erzwingen. Wir würden Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof bekommen, wenn wir europäische Bildungsstandards beschließen würden. Unser Beitrag ist es, die Programme, die dabei helfen, zu verstärken: Erasmus ist in den letzten Jahren verdoppelt worden und wir wollen es auch weiter steigern!
Herr Pieper, wie stellt sich Europa sicherheitspolitisch für die nächsten Jahre auf?
Pieper: Wir müssen einen gemeinsamen europäischen Ansatz gegen Cyberkriminalität schaffen. Wir haben durch Erpressungssoftware in den Unternehmen jedes Jahr rund zwölf Milliarden Schaden, das ist Wahnsinn. Und sollte es strategische Übernahmen durch die Chinesen geben, dann müssen wir uns noch besser wappnen durch Abwehrinstrumente. Und Sicherheit heißt natürlich auch: Wir haben in den Nationalstaaten viele Ansätze – über Geheim- und Nachrichtendienste, Polizei, Justiz etc. – das müssen wir zunehmend in europäische Strukturen gießen. Wir brauchen eine größere grenzübergreifende Schlagkraft.
Was war Ihr größter Erfolg in Brüssel?
Liese: Ich glaube, einen Beitrag zum Klimaschutz geleistet zu haben. Europa hat da eine Führungsrolle übernommen. Wobei mir immer wichtig war, die energieintensive Industrie nicht so zu belasten, dass sie aus Europa vertrieben wird. Man kann immer alles im Detail kritisieren. Aber von der großen Ausrichtung haben wir das gegen viele Widerstände hingekriegt: sowohl ambitionierten Klimaschutz zu betreiben als auch die Anliegen der Industrie zu berücksichtigen.
Nachgehakt, Herr Liese, würden Sie das Thema Klimaschutz auch nach den Wahlen am 26. Mai verstärkt bei sich sehen?
Liese: Dieser Mammutaufgabe will ich mich auch weiter widmen, aber ein weiteres Herzensanliegen von mir ist noch ein anderes: die Krebsbekämpfung. Da sagen uns die Wissenschaftler: Wenn Europa da besser zusammenarbeiten würde, würden wir schneller zum Ziel kommen.
Und Sie, Herr Pieper?
Pieper: Ich bin in der Außenwirkung wirklich stolz auf den SME-Circle der EVP Fraktion. Ein Arbeitskreis mit 65 Europaabgeordneten aus 20 EU-Mitgliedsstaaten. Eine solche Truppe im Hintergrund zu haben, die zum Beispiel Themen wie Stärkung der dualen Berufsbildungsstrukturen befördert, das ist wichtig, denn so kann man beispielsweise die Jugendarbeitslosigkeit senken.
Wahlumfragen legen nahe, dass die Parteien der Rechten vermutlich kräftig Zulauf bekommen, rechnen allerdings nicht mit einem Erdrutsch-Sieg der Populisten. Wie sehen Sie die Lage?
Liese: Ich habe erst mal sehr viel Respekt vor den Wählerinnen und Wählern und werde das Wahlergebnis erst am Abend des 26. Mai kommentieren. Aber es ist eine Gefahr, dass die Rechten sehr stark werden, wenn wir uns im Wahlkampf nicht anstrengen. Es geht darum, das Europäische Parlament davor zu bewahren, lahmgelegt zu werden. Und das ist überhaupt nicht entschieden! Unsere Aufgabe ist es zu verhindern, dass die Anti-Europäer von rechts und links stark sind.
Pieper: Wenn man die nationalen Wahlergebnisse aus diversen Ländern betrachtet, dann weiß ich nicht, ob diese Prognosen Bestand haben. Die Linken zerlegen sich mittlerweile tatsächlich ja selbst, die wissen selber nicht, mit welcher Europastrategie sie in den Wahlkampf ziehen sollen.
Was ist Ihnen noch wichtig?
Pieper: Oft wird ja vordergründig gefragt: Hat dieses Europa noch irgendetwas im Griff? Hier ziehe ich eine deutliche Bilanz, denn tatsächlich sind unsere Ergebnisse beeindruckend. Nehmen wir nur die gemeinsame Währung: Mittlerweile halten sich alle Euro-Länder an die Schuldengrenzen. Das wichtigste Argument aber ist: Wir leben seit über 70 Jahren in Frieden. Und im Umweltbereich haben wir seit 1990 23 Prozent CO₂ eingespart und hatten über 50 Prozent Produktionszuwachs – ohne EU, ohne Emissionshandel, undenkbar.
Das Interview führte die Bloggerin Elke Tonscheidt. Die studierte Politologin war früher als Pressesprecherin für Peter Hintze in Bonn tätig, außerdem leitete sie die Kommunikation eines von ihr mitgegründeten Münchner Start-Ups. Sie lebt mit ihrer Familie in ihrer Wahlheimat Köln.
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