War der Slogan der 1980 gegründeten Partei „Die Grünen“ noch „ökologisch, basisdemokratisch, sozial, gewaltfrei“, so könnte er jetzt, gut 40 Jahre nach der Gründung und vielerlei Häutungen „Friede, Freude, Eierkuchen“ lauten: Als außerparlamentarische Opposition gestartet, liegt die Partei in den bundesweiten Umfragen bei nahezu 20 Prozent. Der zweite Platz im Parteiensystem – vor der SPD – scheint derzeit gesichert. Folglich beginnt die Partei, unter freundlicher Begleitung durch die Medien, ernsthaft über eine Kanzlerkandidatur zu diskutieren. Auch in den Bundesländern scheint die Lage auf den ersten Blick hervorragend: Mit elf Regierungsbeteiligungen sind die Grünen an genauso vielen Landesregierungen beteiligt, wie Union und SPD. Bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen konnte die Partei sowohl in Großstädten wie Aachen und Bonn, als auch in ländlicheren Gemeinden wie Havixbeck und Rösrath Erfolge erzielen.
Doch ist wirklich alles so wunderbar bei den Grünen?
Es sind aber genau diese Erfolge, die ernsthafte Probleme für die Öko-Partei mit sich bringen. Sie bewegt sich im Spagat zwischen realpolitischen Notwendigkeiten als Regierungspartei und dem ihr innewohnenden ideologischen Korsett. Dieser Spagat lässt sich nur schwer lösen und wird die Partei noch vor eine enorme Bewährungsprobe stellen. Nach dem Konflikt um den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr 1999 bekommen die Grünen nun zum zweiten Mal in ihrer Geschichte ernsthaften Gegenwind aus dem eigenen politischen Lager, diesmal aus der Umweltbewegung. An den bisher bundesweit eher unbekannten Flecken „Danneröder Wald“ in Hessen und „Hambacher Forst“ im Rheinischen Revier werden die inneren Widersprüche der Grünen offenbar.
„Zwischen Baum und Beton“: #Danni und #Hambi erlangen bundesweite Bekanntheit
Seit mehr als 40 Jahren warten die Pendler und Anwohner in den hessischen Kreisen Schwalm-Eder und Vogelsberg auf einen ca. 42 Kilometer langen Lückenschluss der Autobahn 49 zwischen Neuenthal und Gemünden. Der Planfeststellungsbeschluss für das letzte Teilstück stammt aus dem Mai 2012. Im Juli 2020 wurden die letzten Klagen gegen den Bau der Autobahn vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. „In Sachen Weiterbau der A 49 kann man dem Rechtsstaat schon seit 40 Jahren bei der Arbeit zusehen“, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Selbstverständlich wird beim Bau der Autobahn die Wasserrahmenrichtlinie eingehalten und damit auch die Trinkwasserversorgung für den Norden Frankfurts auch in Zukunft gesichert. Wie bei jedem deutschen Infrastrukturvorhaben gleichen umfangreiche Aufforstungsmaßnahmen den menschlichen Eingriff in die Umwelt aus.
Doch kurz nachdem am 1. Oktober, also nach dem Ende der Vegetationsperiode, die ersten Rodungsarbeiten für den Bau der A 49 begannen, rief ein breites Bündnis von Umweltgruppen aus dem grünen Milieu (BUND, Fridays for Future, Campact) zu einer Großdemonstration gegen die Rodung des Danneröder Waldes am 4. Oktober auf. Mit Parolen wie „Danni bleibt“, „Keine Autobahn, nirgendwo!“, „A 49 – Verbrechen gegen Menschheit und Natur“ stemmten sich die Aktivisten gegen den Bau der Autobahn, einige besetzten sogar Teile des Waldes. Flugs kam auch Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner aus dem fernen Berlin nach Nordhessen geeilt, um seine „Solidarität zu zeigen“. Annalena Baerbock und Anton Hofreiter forderten via Süddeutscher Zeitung noch am selben Tag einen generellen Baustopp für den Bau von Autobahnen in ganz Deutschland.
Lediglich die Grünen im Bundesland Hessen hielten sich auffällig bedeckt. Hatten sie doch noch 2014 im Hessischen Landtag in einem gemeinsamen Antrag mit der CDU vom Bund eine gesicherte Finanzierung für den Bau der Autobahn eingefordert, und sich im Koalitionsvertrag vom Dezember 2018 zur Wichtigkeit „leistungsstarker Verkehrswege“ für das Transitland Hessen und die Fertigstellung der A 49 bekannt.
So half auch der Einsatz der Bundesspitze bei ihren einstigen Unterstützern nicht. Die Grünen können die radikalen Umweltschützer nicht befriedigen. Fridays for Future Frankfurt twitterte im Zusammenhang mit den Protesten gegen die A 49 beispielsweise, die Grünen seien „keine ökologische Partei“. Luisa Neubauer, deutsche Vorkämpferin von Fridays for Future, Mitglied der Grünen und Liebling der Medien zeigte sich in ähnlicher Weise enttäuscht vom divergierenden Verhalten ihrer Partei. Die Frage der Tageszeitung „Die Welt“, ob die Grünen noch ihre Partei sei, beantwortete sie mit einem lapidaren „Darüber reden wir ein andermal.“ Die radikalen Umweltaktivisten von „Extinction Rebellion“ besetzten gar die grüne Parteizentrale in Berlin, um gegen den Bau der A 49 zu demonstrieren. Der geneigte Beobachter aus Nordrhein-Westfalen wird sich bei den Geschehnissen um den Danneröder Wald an den Hambacher Forst erinnert fühlen. Der Wald zwischen Aachen und Köln wird seit den 70er Jahren von RWE für die mögliche Erweiterung des Hambacher Braunkohlentagebaus gerodet. Von der Anti-Kohle-Bewegung zum Symbol gegen die Kohlepolitik erhoben, wurde er seit 2012 von Anhängern von Umweltschutzgruppen und linksextremistischen Verbänden besetzt.
Die grüne Landtagsfraktion spielt sich zwar heute als der parlamentarische Arm dieser Bewegung auf, verschweigt dabei aber, dass es die rot-grüne Landesregierung war, die noch 2016 in ihrer letzten Leitentscheidung zum Braunkohlentagebau die Rodung des Hambacher Forsts und die Fortführung des Braunkohlenabbaus bis in das Jahr 2045 vorsah.
Anders die schwarz-gelbe Landesregierung unter Armin Laschet: Wohl kaum eine nordrhein-westfälische Landesregierung arbeitete so intensiv an einem gesellschaftlichen Konsens in der Kohlepolitik. Ein Konsens bei dem die Klimapolitik, die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer, der Kommunen im Rheinischen-Revier und der Industrie zusammengeführt wurden. Erst die NRW-Koalition aus CDU und FDP änderte die genannte Leitentscheidung zum Braunkohlentagebau. Im Endergebnis wird der Hambacher Forst gerettet. 1,2 Milliarden Tonnen Braunkohle bleiben im Boden. Damit kann die größte CO2-Reduzierung in der Geschichte beginnen. Der Strukturwandel im Rheinischen Revier wird zugleich mit milliardenschweren Strukturhilfen aus Bund und Land abgefedert.
Die Beispiele grüner Doppelmoral ließen sich in zahlreichen Politikbereichen fortführen. So ließ die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann in Friedrichshain-Kreuzberg zwar während der Corona-Zeit jeden illegal aufgestellten Heizpilz durch ihre Ordnungsbehörden verfolgen. Gleichzeitig ließ sie aber zu, dass die Corona-Zahlen stiegen und die grüne Klientel munter Corona-Partys feiern konnte. Was folgte, war ein politischer Offenbarungseid erster Güte. Man musste zugeben, dass das Gesundheitsamt bei der wichtigen Verfolgung der Kontaktketten überfordert sei, lehnte aber, völlig unverständlich, die zügig angebotene Hilfe der Bundeswehr aus ideologischen Gründen ab. Ideologie war wichtiger als Vernunft, wichtiger als der Schutz der Menschen.
Ein weiteres Beispiel ist die Wirtschaftspolitik. Während sich Annalena Baerbock auf dem Tag der Industrie von den versammelten Spitzen der deutschen Wirtschaft feiern lässt, der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, sich als Fürsprecher der deutschen Autoindustrie geriert und für den Verbrennungsmotor ausspricht, wollen andere in der Partei lieber heute als morgen aus der Produktion des Verbrenners aussteigen. Was gilt also?
Die Klimaliste: Erwächst den Grünen umweltradikalere Partei als Konkurrenz?
Die Entfremdung zwischen Umweltbewegung und Grünen scheint inzwischen soweit gediehen zu sein, dass auch eine Spaltung der Ökobewegung nicht mehr ausgeschlossen scheint. In Baden-Württemberg gründete sich die so genannte „Klimaliste“ als neue Partei. Sie will bei der Landtagswahl 2021 in allen Wahlkreisen des Bundeslandes antreten. Radikaler Klimaschutz ist ihr Motto. Ihre Unterstützer sehen die Klimakrise durch die gesamte Politik, also auch durch die Grünen, nicht ausreichend gewürdigt. Erste Erfolge erzielte die neue Partei bereits bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, wo sie auf Anhieb in den Düsseldorfer Stadtrat einzog. Während das Phänomen Klimaliste von vielen grünen Funktionären heruntergespielt wird, fürchtet Winfried Kretschmann schon um seine Mehrheit im Landtag. Zuletzt bezeichnete er die Klimaliste als „Gefahr“ und mahnte, die ökologische Parteienlandschaft dürfe sich nicht weiter fragmentieren und dadurch selbst schwächen.
Fazit
Insgesamt bleibt also offen, ob und wie die Grünen das Dilemma zwischen Realpolitik und umweltpolitischer Ideologie lösen können. Erste mahnende Beispiele, wie das Erstarken der Klimaliste oder die Kritik populärer Mitglieder, sollten die Partei aufhorchen lassen. Biedern sie sich weiter den lauten Öko-Aktivisten an, die wenig Respekt vor rechtsstaatlichen Entscheidungen haben und mit teils gefährlichen Aktionen auf sich aufmerksam machen, werden sich viele neu hinzugewonnene Anhänger der gesellschaftlichen Mitte von ihnen abwenden. Gehen die Grünen hingegen den Weg der Realpolitik und streiten für Lösungen, die Umwelt, Wirtschaft und andere Gemeinwohlinteressen unter ein Dach bringen, dann werden sie wohl einen bedeutenden Teil ihrer traditionellen Anhängerschaft verlieren und gegenüber radikaleren Öko-Parteien einbüßen. Die Fliehkräfte innerhalb der Partei wachsen. Damit wird auch klar, was die Grünen nicht sind, eine Volkspartei nämlich, mit breiter Bindekraft in alle Bevölkerungsschichten von links nach rechts. Wollen die Grünen künftig ernsthaft als regierungsfähig wahrgenommen werden, dann werden die Grünen zunächst einmal ihre inneren Widersprüche lösen müssen.
Henrik Bröckelmann und Maximilian Glaubitz
Der Artikel ist zuerst erschienen in „Bei uns in NRW“ (Ausgabe 3/2020).
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