Menschen in Not helfen Unsere offene Gesellschaft verteidigen IS-Terrorismus entschlossen bekämpfen

28.12.2016

Menschen in Not helfen –

Unsere offene Gesellschaft verteidigen –

IS-Terrorismus entschlossen bekämpfen

15 Punkte zur Inneren Sicherheit

von Armin Laschet

 

Die dschihadistische Herausforderung

Der dschihadistische Terrorismus des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Er stellt nicht nur für seine Ursprungsregionen, Irak und Syrien, eine fundamentale Bedrohung dar. Mittlerweile droht der IS Libyen, Afghanistan und Teile Afrikas ebenso ins Chaos zu stürzen. Europa steht längst im Fadenkreuz der IS-Terroristen, wie wir in den letzten Jahren und Tagen allzu schmerzlich erfahren mussten. London, Madrid, Istanbul, Paris, Brüssel, Nizza und nun auch Berlin stehen für hunderte von unschuldigen Opfern allein in Europa. Zur traurigen Realität gehört auch, dass lange zuvor auch aus Deutschland junge Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte den Kampfaufrufen des IS gefolgt sind. Sie haben unser Land verlassen, um in Syrien mit dem IS gegen die Assad-Regierung zu kämpfen. Und ihre Rückkehr bedeutet nun ein immenses Sicherheitsrisiko für unser Land.

All das zeigt: Es war eine Illusion zu glauben, dass die Muster der westlichen Demokratiegeschichte mit militärischer Intervention auf die Welt des Nahen und Mittleren Ostens übertragen werden können. Das Ergebnis aus dem Machwerk von Despoten und fehlgeschlagenen westlichen Interventionen ist eine extreme Polarisierung in der Region und das Ende des säkularen Staates Syrien alter Prägung, in dem auch Christen ihren Platz hatten. Jetzt ist die Stunde der Realpolitik. Die Identifikation und Entwicklung gemeinsamer Werte mögen weiterhin das Ziel internationaler Politik und diplomatischer Bemühungen sein. Die Durchsetzung gemeinsamer Interessen muss aber der Ausgangspunkt sein. Die Weltgemeinschaft muss den IS-Terrorismus gemeinsam bekämpfen. Russland und die USA, die Europäische Union und die UN müssen ihre Aktivitäten gegen den IS besser koordinieren. Die Völkergemeinschaft hat zu Recht die brutalen Menschenrechtsverstöße des Assad-Regimes verurteilt. Zur Realität gehört aber auch, dass die vom IS beherrschten Gebiete Syriens, die nicht mehr unter Kontrolle der syrischen Regierung sind, heute Orte der Planung für massive Terroranschläge in Europa sind. Von ihnen geht die größte Gefahr für unsere innere Sicherheit aus.

Terror und Flucht

Schon lange vor der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 hat der islamistische Terrorismus die Staaten Europas bedroht und unsere westlichen Demokratien, unabhängig von ihrer Bereitschaft, Schutzbedürftige aufzunehmen, gleichermaßen angegriffen. Die verheerenden Attentate von Paris und Brüssel wurden von französischen und belgischen Staatsangehörigen und nicht von Flüchtlingen begangen. Dennoch stehen Flucht und Terror in einem engen Zusammenhang. Der mit dem Erstarken des IS und anderer dschihadistischer Milizen einhergehende Terror in Syrien, Afghanistan und Afrika gehört zu den Gründen für Flüchtlinge, ihr Heimatland Richtung Europa zu verlassen. Gleichzeitig versuchen islamistische Terrororganisationen die großen Flüchtlingsrouten zu nutzen, um ihre Kämpfer in Europa einzuschleusen. Es ist der Versuch, die freie Welt mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und die westlichen Gesellschaften zu spalten.

In dieser Bewährungsprobe muss sich Deutschland treu bleiben – auch und gerade im Umgang mit Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Wir wollen Schutzbedürftigen weiterhin unsere Hilfe bieten. Gleichzeitig wollen wir aber für eine schnelle Ausreise der Menschen ohne Schutzgrund sorgen. Denn Asyl und Einwanderung sind klar voneinander zu trennen. Wir wollen das Grundrecht auf Asyl sichern und erhalten. Aber wir müssen die Umsetzung des Asylrechts und die Bewerber selbst besser kontrollieren. In Zukunft sollte deswegen schon in grenznahen Transitzonen und Erstaufnahmestellen in schnellen Verfahren festgestellt werden, wer schutzbedürftig ist und damit eine Bleibeperspektive hat. Nur diese Menschen werden auf die Länder, Städte und Gemeinden in Deutschland verteilt. Abgelehnte Asylbewerber kehren noch aus diesen Einrichtungen direkt in ihre Heimatländer zurück.

Auf europäischer Ebene muss Deutschland weiter für Geschlossenheit werben. Unsere Hilfe für Menschen in Seenot darf nicht zurückgefahren werden. Unsere Außengrenzen müssen wir gleichzeitig mit allen Mitteln schützen, um der illegalen Migration Einhalt zu gebieten und Schleuser zu bekämpfen. Im Kampf gegen die Fluchtursachen – darunter auch der Terror – müssen wir uns breiter aufstellen. Dies gelingt nur mit mehr Europa.

Die Verteidigung unserer Werte und unseres Lebensstils verlangt Geschlossenheit und Entschlossenheit. Wir wollen weiter Menschlichkeit zeigen. Terror ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deshalb muss Deutschland Gefährdern und Terroristen den Kampf ansagen, mit den europäischen Partnern, national und auf Landesebene. Menschen in Not helfen – unsere offene Gesellschaft verteidigen – IS-Terrorismus entschlossen bekämpfen: dieser Dreiklang muss unsere Politik leiten.

Dabei gilt es, bereits bestehende Gesetze konsequent anzuwenden, bereits vorliegende Gesetzesentwürfe zeitnah zu beschließen, Blockaden im Bundesrat zu lösen und angesichts des Anschlags vom Breitscheidplatz fachlich zu analysieren, wo weiterer Handlungsbedarf besteht.

15 Punkte zur Inneren Sicherheit

Europäische Ebene

1. Automatischer europäischer Datenaustausch: Die Sicherheitsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten müssen sofort damit beginnen, ihre Daten über potentielle Gefahren und Gefährder automatisiert untereinander auszutauschen. Der Handlungsbedarf ist so groß, dass für diesen Zweck gegebenenfalls auf die Idee eines Kerneuropas zurückgegriffen werden sollte, falls eine Einigung unter allen EU-Mitgliedsländern nicht zeitnah zu erreichen ist. Eine Gruppe von Staaten innerhalb der Europäischen Union müsste dabei vorangehen, andere können und sollen dann folgen. Ein Anfang für einen optimierten Datenaustausch zur Identifikation potentieller Gefährder bestünde darin, die EURODAC-Verordnung so zu ändern, dass Polizei und Sicherheitsbehörden eine routinemäßige Abfrage über INPOL in EURODAC möglich ist. Die bisher getrennten Datentöpfe EURODAC, Visa-Informationssystem, Schengen-Informationssystem und INPOL müssen so verknüpft werden, dass die Polizei- und Sicherheitsbehörden durch eine Nachfrage alle zur Verfügung stehenden Informationen abfragen können. Wir brauchen so schnell wie möglich ein europäisches Ein- und Ausreiseregister (ETIAS).

2. Gemeinsames Europäisches Terrorabwehrzentrum: Mittelfristig braucht Europa ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum in abgewandelter Form ähnlich dem deutschen Gemeinsamen Terror-Abwehr-Zentrum (GTAZ) von Bund und Ländern. Die bei Europol angesiedelte Intelligence Cell ist ein guter Anfang, muss aber strukturell wie organisatorisch noch weiter ausgebaut und gestärkt werden.

3. Gemeinsamer europäischer Geheimdienst: Langfristig muss ein gemeinsamer europäischer Geheim- und Nachrichtendienst aufgebaut werden. Auch hier könnten einige EU-Staaten mit gutem Beispiel vorangehen und bei einem Erfolg des Projekts weitere Mitgliedsstaaten als Teilnehmer gewinnen. Mit einem starken europäischen Geheimdienst kann Europa anders in den Austausch mit den großen Geheimdiensten der Welt treten.

Bundesebene

4. Einstufung der Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern: Der Bundesrat muss den Weg für die Anerkennung von Tunesien, Marokko und Algerien als sichere Herkunftsstaaten endlich frei machen. Dies würde die Zugangszahlen aus Nordafrika senken, die Verfahren beschleunigen und brächte eine verschärfte Residenz- und Meldepflicht für Nordafrikaner mit sich. Auch Rückführungen in den Staat der ersten Antragsstellung nach dem Dublin-Verfahren wären so leichter möglich. Die Einstufung weiterer Staaten mit geringer Anerkennungsquote als sichere Herkunftsländer ist zu prüfen.

5. Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht verabschieden: Die SPD im Deutschen Bundestag muss dem Gesetzesentwurf des Bundesinnenministers vom Oktober 2016, der unter anderem eine Verschärfung der Abschiebehaft für Gefährder vorsieht, zustimmen. Das Gesetz würde einen neuen Abschiebehaftgrund "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" einführen und eine wesentlich längere Abschiebehaft für geduldete Gefährder ermöglichen.

6. Transitzonen einführen: Die SPD muss der Einrichtung von Transitzentren an den Grenzen Deutschlands zustimmen. Hier könnte eine frühzeitige Erstprüfung von Asylanträgen durchgeführt werden, die auch Sicherheitsaspekte miteinschließt. Antragsteller, die in anderen Ländern als Gefährder oder Straftäter auffällig geworden sind, soll so der Zutritt nach Deutschland über den Weg von Asyl und Flucht versperrt werden.

7. Vollziehbar ausreisepflichtige Gefährder unverzüglich abschieben: Es braucht eine konzertierte Aktion von Bund und Ländern zur Abschiebung von Gefährdern, die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Die Menschen in Deutschland haben zu Recht kein Verständnis dafür, wenn gewaltbereite Radikale ohne Aufenthaltsstatus sich weiterhin in unserem Land aufhalten oder gar frei bewegen können. Mit nicht aufnahmewilligen Ländern muss der Bundesaußenminister durch die Ausschöpfung sämtlicher diplomatischer Mittel entsprechende Abschiebeabkommen erwirken. So wie Deutschland seiner Verantwortung für ausgereiste Dschihad-Kämpfer mit deutscher Staatsangehörigkeit nachzukommen hat, können wir von anderen Staaten erwarten, dass sie auch straffällig gewordene Staatsangehörige zurücknehmen. 

Länderebene

Der Föderalismus hat in Deutschland eine lange Tradition und auch im 21. Jahrhundert seine Berechtigung. Allerdings darf unsere bundesstaatliche Ordnung nicht dazu führen, dass es in den 16 Bundesländern auch Zonen mit unterschiedlichem Sicherheitsniveau gibt. Wir wollen einheitlich hohe Standards bei der Sicherheit. Das bedeutet gerade in Nordrhein-Westfalen einen großen Reformbedarf. Denn hier sind die gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden am geringsten, aber die Zahl der Salafisten ist am höchsten. Sie hat sich in der Amtszeit des amtierenden Innenministers nahezu versechsfacht.

8. Unterbindungsgewahrsam ausdehnen: Die Dauer des Unterbindungsgewahrsams sollte sich an den Ländern mit den höchsten gesetzlichen Möglichkeiten orientieren. Damit können Gefährder, von denen die Begehung einer Straftat erwartet wird, festgesetzt werden. Nordrhein-Westfalen gehört zu drei Bundesländern, in denen dies nur 48 Stunden möglich ist. In Bayern und Baden-Württemberg ist Unterbindungsgewahrsam für Gefährder 14 Tage möglich.

9. Videobeobachtung stärken: Die Möglichkeiten der Videoüberwachung, unter anderem mit Instrumenten der Gesichtserkennung an zentralen Orten, müssen ausgeweitet werden. Das erleichtert nicht nur die Fahndung nach Gefährdern, sondern erlaubt grundsätzlich schnellere Ermittlungen nach Straftaten. In Nordrhein-Westfalen bestehen die rechtlichen Grundlagen im Gegensatz zu anderen Bundesländern dafür nicht.

10. Gesetzliche Grundlage für Schleierfahndung schaffen: Wir wollen die offene Grenzen für Personen, Waren und Dienstleistungen sichern und erhalten. In Zeiten hochmobiler Gefährder und offener Grenzen im Schengen-Raum brauchen alle Landespolizeien das Instrument der Schleierfahndung. Damit kann der Fahndungsdruck auch auf die islamistische Szene erhöht werden. 13 Bundesländer ermöglichen gesetzlich den Einsatz im jeweiligen Polizeigesetz, die nordrhein-westfälische Landesregierung lehnt es bisher ab, die notwendige gesetzliche Grundlage zu schaffen.

11. Ausschöpfung des Rechtsrahmens bei der Abschiebung von Gefährdern: Gefährdern, deren Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, können durch die Innenministerien auch heute schon auf dem Wege einer Abschiebungsanordnung strikte Meldepflichten bei der Polizei auferlegt werden. In diesem Rahmen darf ein bestimmter Wohnort nicht verlassen werden. Bei Zuwiderhandlung droht U-Haft. Dieses Rechtsmittel gilt es flächendeckend einzusetzen. Das NRW-Innenministerium hatte im Fall Amri darauf verzichtet, so dass sich der ausreisepflichtige Gefährder und spätere Attentäter monatelang frei zwischen deutschen Ländern bewegen konnte.

12. Schärfere Bestrafung von Identitätsverschleierung und Benutzung von Mehrfachidentitäten: Ausländerbehörden und das BAMF sollen beim Vorliegen von Erkenntnissen zu Identitätsverschleierung und/oder der Benutzung von Mehrfachidentitäten dazu verpflichtet werden, ein Ermittlungsverfahren nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG anzustrengen. Staatsanwaltschaften sollen Verfahren wegen unerlaubter Einreise künftig nicht mehr vor dem Ende des Asylverfahrens einstellen und in diesem Rahmen standardmäßig prüfen, ob zugleich eine Straftat nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG vorliegt. Gefährder, bei denen ein Strafverfahren wegen unerlaubter Einreise und Identitätsbetrug anhängig ist, sollen unverzüglich angeklagt und über diesen Weg in Haft mit anschließender Abschiebehaft gebracht werden.

13. Einrichtung und Vernetzung digitaler Landesabwehrzentren: Auf Landesebene sollten digitale Abwehrzentren eingerichtet werden, die untereinander einen automatischen Datenaustausch pflegen und auf Bundesebene zentral koordiniert werden. Diese Zentren sollen Radikalisierungsprozesse und -tendenzen frühzeitig erkennen und Online-Aktivitäten von potentiellen Gefährdern überwachen.

14. Technische Vernetzung der Landesbehörden ausbauen: Verfassungsschutzämter und Ausländerbehörden müssen durch kompatible Technikausstattung, gemeinsame IT-Standards und eine klare Prozessstrukturierung besser miteinander vernetzt werden. Damit sollen Lücken bei der Überwachung von Gefährdern geschlossen werden.

15. Prüfung der Anwendung von Fußfesseln bei Gefährdern: Um die Polizeikräfte bei Observationen von Gefährdern zu entlasten, soll die Anwendung von Fußfesseln für diese geprüft werden. Damit könnten Bewegungsprofile von Gefährdern in Echtzeit erstellt werden. Diese Maßnahme soll zusätzlich zur jüngst in der Bundesregierung in die Ressortabstimmung gegebenen Fußfessel für verurteilte Extremisten nach einer Haftstrafe erfolgen.